eins, zwei, drei, ich

Das ist eine Strategie aus der Werbewelt, aber eine, wie ich finde, eher fröhliche. Die mal helfen kann, wenn man sich nicht sicher ist, für eine Sache Geld ausgeben zu wollen oder nicht. Oder die als Spiel an einem verregneten Nachmittag ganz ohne Brett oder andere Zutaten auskommt.

Die Herausforderung: in drei Begriffen den eigenen Geschmack, sagen wir für die Wohnungseinrichtung oder für die Vorlieben der Garderobe zu finden. Klingt simpel. Ist natürlich auch nicht dramatisch schwer. Hilft aber erstaunlich, wenn es um Entscheidungen geht. Die Idee stammt von dem amerikanischen Designer Jonathan Adler, der seine eigene Produktion als „modern american glamour“ bezeichnet (sich selbst aber als rastlos, misepetrig und sonst noch was). Ehrlichkeit ist natürlich auch hier unbedingt gefordert. Andererseits kann man so einen Stil oder eine Vorliebe entwickeln, die man gerne hätte. Wo man sich aber vielleicht nicht hintraut.

Meine drei Begriffe? western – grumpy – chic. Und Ihr so?

Pflege

Vielleicht ist schon der Begriff falsch. Weil es ein Oben und Unten gibt. Was wäre ein besseres Wort für die Betreuung sterbender Menschen? Betreuung selbst? Weil Treue darin steckt. Die es braucht, um einen manchmal langen, aber stets mühevollen Weg mitzugehen.

Ich habe sieben Monate lang Pflege in einen Kreuzberger Seniorenheim erlebt. Ich bin ernüchtert bis auf den Grund. Und schlimmer. Ich würde am liebsten endlos lamentieren. Den Kopf schütteln. Die Augen verdrehen. Hilft aber nicht. Nicht mal mir.

Was passiert da, frage ich mich. Warum schauen wir in Abgründe? Es kann doch nicht nur am Geld liegen?

Als „Angehörige“ war ich motiviert, mitzutun. Das ist natürlich nicht vorgesehen. Heimpflege ist intern koordiniert. Außenstehende stören eher. Ich kann das sogar verstehen. Aber hier stehen sich gleich schon alle im Weg. Ich kann Dinge tun und damit Personal entlasten. Dafür müsste man miteinander sprechen. Das ist überhaupt nicht vorgesehen. Und frustriert vermutlich alle Seiten.

Wenn ich zum Beispiel Lieblingsspeisen mitbringe, was ich als zusätzliche Betreuung verstehe, gehen die Pflegenden davon aus, dass ich die Mahlzeiten übernehme. Was ich natürlich nicht kann. Und bei dem stolzen Preis von 5.200 Euro im Monat auch nicht bereit bin zu leisten. „Ihr Vater hat keine Suppe mehr“ heißt es da, und ich frage mich, wie man einem alten Mann das Abendessen verweigern kann, wenn ich nicht mit seiner Lieblingssuppe angesprungen komme. Alleine schon der verdrießlich-maulende Unterton.

Nein. Ich will nicht lamentieren. Aber hier zeigt sich ein Punkt, der so rätselhaft wie überflüssig ist. Vermutlich wäre es sinnvoll, Angehörige und Pflegende ins Gespräch zu bringen. Aber das ist keine Leistung, die abgerechnet werden kann. Manche Heime bieten monatlich zumindest kurze Sprechzeiten für Angehörige. Damit sie von außen zumindest die aktuelle Lage besser einschätzen können.

Es reicht nicht, den Pflegenden die Schuld zuzuschieben. Was läuft falsch? Was können wir tun, damit es besser wird. Nur dafür sorgen, dass man selbst nicht in die Gefahr gerät, ins Heim zu kommen? Habt Ihr Erfahrungen oder Ideen? Mehr Ehrenamt? Mehr Aufklärung, bzw. Gespräche darüber, wie wir selbst alt werden wollen. Und damit natürlich auch die unangenehme Auseinandersetzung damit, das eigene Altern einzugestehen. Fängt es hier eigentlich schon an? Das wir denken, das sei alles nicht unser Bier, bis wir selbst dran sind?

Und zwischendurch noch mal schnell die Welt retten

Der Unmut ist nicht mehr zu überhören. Und die Folgen eher katastrophal: Wo Nachrichten nur noch auf Katastrophen, Krisen und Untergangsszenarien fokussieren, stumpft das Publikum irgendwann ab. Nachrichten nicht mehr zu hören, gehört fast schon zum Konsens. Und ja, wie soll man in der Mittagspause neben zwei akuten Kriegen auch noch den dritten im Sudan verdauen, der sich zusammenbraut, die Flüchtlingsströme noch überblicken oder die Umweltversäumnisse der letzten Jahre rekapitulieren, sich eine Meinung bilden oder bitte irgendetwas dagegen tun.

„Ich kann nicht mehr“ führt schnell zu „ich kann doch nichts dafür“ oder „da kann ich eh nichts ändern“, was an sich stimmt, aber dann eben doch nicht. Ich habe in den letzten Monaten komplett abgeschaltet. Ich war durch mit allem. Aber dann passiert im Grunde nur das: Ich will nichts mehr hören oder sehen, und wenn dann doch was zu mir durchsickert, bin ich genervt. Hm – ?

Vielleicht hilft es, wieder Hoffnung zu haben. Trotz allem. Also nicht der Resignation anheimfallen, dass alles nur noch schlimmer wird. Ja: Wir gehen im Nachrichtenstrom mittlerweile fast unter. Dennoch helfen diese Nachrichten gerade aus den social media Quellen, Unrecht live zu dokumentieren. Und festzuhalten. Früher war es einfacher, wegzuschauen. Wir haben es eben nicht mitbekommen. Heute strömt alles ungefiltert auf uns ein. Mit der Machbarkeit setzt eben auch eine neue Verantwortung ein. Das merken wir jetzt.

Ich habe keine Lösung. Ich versuche mich gezielter zu informieren. Um dem Strom der Empörung und der Skandalisierung, der größer und größer wird, zu entkommen. Ich will versuchen, nicht auf den Zug, dass alles schlimmer wird, aufzuspringen. Und dann die Dinge tun, die möglich sind. Wenig genug. Wach bleiben ist dennoch eine Tugend. Vor allem, wenn es wirklich dunkel wird.

Wenn es wieder wo langgeht

Die letzten Wochen stand ich im Nebel – gefühlt – obwohl der Saharastaub seit einiger Zeit meine Orientierungslosigkeit ganz gut illustriert.

Ich fand den Zustand schwer auszuhalten. Aber ich hatte den dringenden Verdacht, dass jede Aktion mich in eine falsche Richtung führen würde. Ich habe viel abgesagt und mich enorm viel gelangweilt. Was ich wirklich nicht mag (beides). Nicht mehr weiter zu wissen, ist eine extreme Herausforderung. Eben auch, weil Nicht-Tun bei uns als Faulheit oder fahrlässige Passivität gedeutet wird. Gerade meine Eltern haben mich oft mit ihren Nicht-Entscheidungen zur Verzweiflung getrieben. Aber ich merke, dass auch Entscheidungen ihre Zeit haben. Wach sein gehört zu den nötigen Fähigkeiten, solche Zeiten zu erkennen. Oder wie es Deleuze nennt, „auf der Lauer zu liegen“. Eben auch, wenn es entsetzlich langweilig ist.

Vielleicht fühlt es sich so an, wenn man mit dem Segelschiff in einer Windflaute liegt. Die Zeit dehnt sich, das Wasser wird knapp und knapper – wer jetzt die Nerven behält.

Langsam klärt sich die Sicht. Und ich konzentriere mich auf jeden einzelnen Schritt… pffffff

Trotzdem weitermachen

Eben – Baumkrone ab, aber weiter sprießen. Das fand ich neulich überzeugend, als ich im trüben Wetter meine Besorgungen machte. Es gibt gerade so viel, von dem ich denke, dass es schief hängt. Weggucken? Wegducken gar? Alternative Realitäten öffnen? Alkoholikerin werden? Oder am Brandenburger Tor kiffen?

Den ersten Schritt in die Luft machen. So geht ein Anfang. So unwahrscheinlich das klingt. Aber dafür braucht es Mut. Und eine gewisse Konzentration. Denn nicht überall ist Luft gleich dünn. Was kann ich tun für oder in dieser Welt, in der so viel schief zu gehen scheint? Und was mache ich mit mir? Einfach älter werden? Oder dem Versprechen nachgeben, besser und noch besser zu werden?

Wenn ich an meinen toten Vater denke, überlege ich, was seine Essenz war. Und ob er etwas daran hätte verbessern können. Ich weiß es nicht. Es gab viele Seiten an ihm, die ich schwierig fand. Aber wenn man sich Menschen insgesamt anschaut, war er sicher nicht einer der Schlechtesten. Worum geht es im Leben? Morgen ist auch noch ein Tag. So sagt man. Schauen wir mal.

Gehe zurück auf Los

So habe ich mir das eben auch nicht vorgestellt. Dass ich immer wieder von vorne anfange bei der Frage, wer ich eigentlich bin. Oder wo ich hin will.

Vermutlich gibt es ja auch sehr verschiedene Charaktere, dass es den einen so, den anderen eben anders ergeht. Aber seit mein Vater tot ist, habe ich das Gefühl, mich wieder neu zusammenstecken zu müssen. Ja. Müssen. Es passt nichts mehr zusammen. Es braucht eine neue Anordnung.

Doch finde ich den Ansatz nicht. Wenn ich mich betrachte von der Perspektive, „du hast jetzt keine Eltern mehr“, finde ich gar keine Idee. Es müsste etwas anderes sein. Vielleicht gar nicht unbedingt ein Verlust. Eher diese erleichternde Ansage „boarding completed“, nach der es dann endlich los geht.

Es muss ja auch gar nicht die Frage sein, wer ich bin. Sondern die viel spannendere: Wer ich sein will. Und dann sitze ich da, und starre Löcher in die Luft. Und dann miste ich irgendwann lieber die Schublade aus. Weil ich mich mit mir langweile.

Tja. Da braucht es wohl mal wieder GEDULD. Autsch. Ausgerechnet. Aber gut. Heute habe ich einen ganzen freien Tag. Und so ein Ostertag ist sicher nicht der schlechteste Ausgangspunkt, eine neue Perspektive zu finden.

Ein ganzes Leben

Wir Menschen gehören ja zu den Lebewesen mit großen Hirnen. Dennoch vergessen wir unablässig. Gerne auch wichtige Dinge. Mein Vater hat mich in den letzten Monaten oft gefragt, warum man geboren wird, wenn man am Ende doch nur stirbt. Ich hatte darauf keine Antwort. Jetzt, wo er tot ist, würde ich sagen: „weil mit dem Tod erst ein Leben – wenn vielleicht nicht vollendet, so doch wenigstens >fertig< ist“. Das ist wenig neu. Aber für mich gerade eine wichtige Erinnerung: Erst das Ende macht ein Leben komplett. Und wo wir bis zum letzten Tag noch viele offene Türen haben, die uns die Möglichkeit geben, noch einmal etwas anders zu machen, ist der Tod ein Abschluss.

Sogar ein plötzlicher Tod kann in diesem Sinn ein Leben komplett machen. Und uns im Leben die Gewissheit (und vielleicht auch den Trost) geben, dass wir nichts mehr erreichen müsssen. Sondern dass wir jeden Augenblick unseres Lebens schon vollständig sind. Ich kann mich erinnern, dass ich einen ähnlichen Gedanken schon vor acht Jahren hatte, als meine Mutter gestorben ist. Mal sehen, wie lange die Erkenntnis dieses Mal hält. Noch ein Elternteil habe ich ja nicht…

Die Buchmesse

Nein. Ich habe nicht ein Buch gesehen. Aber ich war auch nicht zum Stöbern angereist. Ich hatte einen Workshop vorbereitet, zuerst ging es deshalb auch für mich ins Kongresszentrum. Und als ich gestern, also Samstag, endlich in den Messehallen war, – voll ist gar kein Ausdruck!

Was mir gefällt: Früher waren die kostümierten Besucher*innen noch gelegentliche Hingucker. Dieses Mal waren sie – zumindest gefühlt – der Großteil des Messepublikums. Und da gab es so viel zu sehen. Aus Vorsicht, weil ich im Gewühl nicht alle fragen konnte, ob sie abgelichtet werden wollen, ist dieses Foto unscharf. Was, wie ich finde, eine ganz eigene Ästhetik hat, und der Situation vor Ort sogar gut entspricht, zumal, wenn man zum ersten Mal müde wird, und nichts sehnlicher wünscht als einen Kaffee…

Schade fand ich am Ende dann doch, dass ich nicht an die Buchstände gekommen bin. Für mich als Fazit: Nächstes Jahr werde ich nicht am Wochenende anreisen. Und vielleicht sogar selbst mal ein Kostüm wagen.

Dem Sterben zusehen

Aus dem Fernsehen sind wir einiges gewohnt. Kriegstote gehören fast schon zum täglichen Brot – zumindest in Krisenzeiten. Es ist immer ein ungutes Gefühl, das Drama im eigenen Zimmer zu haben, gleichzeitig keine – oder gefühlt unpassende – Emotionen zu spüren. Sterben wiederum ist uns fremd geworden. Selbst in Pflegeheimen bleibt das Gespräch darüber ausgespart. Man hält sich am aktuellen Zustand fest, und da ist – wenn auch nur noch wenig – Leben.

Ich habe meinen Vater in seinen letzten Monaten und Tagen begleitet. Wir hatten uns das beide anders vorgestellt: Mein Vater träumte von einem schnellen Tod im eigenen Bett, ich habe das Thema weitgehend verdrängt. Es wurde dann doch noch ein schwieriges letztes Jahr mit einer Lungenentzündung, die die ganze Lebensendzeitmaschinerie in Bewegung gesetzt hat. Krankenhaus, Heimsuche, Einzug ins Heim, enorm viele Infektionen, das langsame Wenigerwerden. Seine Angst, die einer friedlicheren Resignation wich. Die letzten Erinnerungen. Das Verstummen. Ein fünftägiges Ringen mit dem Tod. Kein Drama, eher eine körperliche Anstrengung.

Und ich war dabei. Ich hatte keine Antworten. Ich hatte eben auch kein herzliches Verhältnis zu meinem Vater. Er war mir vertraut. In dieser letzten Zeit habe ich überhaupt erst bemerkt, dass er eine schöne Stimme hatte. Manchmal habe ich versucht, mit ihm über das Sterben zu sprechen. Wenn er Angst hatte, erinnerte ich ihn an meine Mutter, und dass sie uns beiden ja tapfer vorausgegangen ist. Ich habe ihm die letzte Ölung ermöglicht, da war er noch beieinander und konnte mit dem Pfarrer sogar noch Witze machen. Und das eben auch, wir konnten hin und wieder miteinander lachen.

Jetzt denke ich, dass der eigentliche Punkt das Zusehen war. Natürlich in der Form des Daseins. Aber eben auch in der Form des Zeugnisses. Ich kann das nicht genau beschreiben. Aber es fühlt sich so an, als gehe es um das Hinschauen. Als eine Art Respekt. Vielleicht auch als ein Art, sich den eigenen Gespenstern zu stellen. Das Leben ist ein Windhauch. Was ich weiß, füllt sich mit Bildern. Die Sonne scheint. Auch das ein Windhauch nur.